Amor vincit omnia. – Kann die Liebe siegen?
Autorin Dr. Isabella Kreim zum neuen Agnes-Bernauer-Drama

Dr. Isabella Kreim... obwohl sie längst gestorben sind, vor mehr als 500 Jahren, leben sie noch heute: der ritterliche Prinz und die Schöne aus dem Volk, Agnes und Albrecht, das Traumpaar für ein Märchen über die alles überwindende Kraft der Liebe. 

Die tragische Liebesgeschichte zwischen dem bayerischen Thronfolger Herzog Albrecht III. (1401-1460) und der Baderin Agnes Bernauer (um 1405 – 1435) ist ein historischer Fall aus der Zeit des ausgehenden Mittelalters, der – zumindest im bayerischen Bewusstsein –  zum Mythos geworden ist, so unsterblich wie die vielen Märchen vom Königssohn und dem armen Mädchen, wie „Aschenputtel“ oder Shakespeares Tragödie der Lie-benden aus verfeindeten Familien, „Romeo und Julia“.

Es ist die Utopie einer Liebe zwischen zwei Menschen extrem unterschiedlicher sozialer Abstammung, die gegen ihre gesellschaftliche Ächtung aufbegehrt. Eine Leidenschaft, die sich aber auch über die Verantwortung gegenüber Staat und Familie hinwegsetzt. So sieht es der Vater, der Politiker, Herzog Ernst. Und handelt.

Ein tragischer Konflikt zwischen dem Glücksanspruch der Einzelnen und den Normen der mittelalterlichen Ständegesellschaft, in der eine Ehe zwischen ganz oben und ganz unten nicht einfach nur verpönt war wie eine Liaison zwischen arm und reich, adelig und bürgerlich, oder Akademiker und Analphabetin. Eine solche Bindung war für einen regierenden Fürsten untragbar, weil sie gegen die als gottgegeben angesehene Ständeordnung verstieß, deren Überwindung es in Europa, 350 Jahre später, einer blutigen Revolution bedurfte. Die Integration von Menschen unterschiedlicher sozialer, als biologisch determiniert begriffener Herkunft ist für Agnes und Albrecht zum Scheitern verurteilt.

„Amor vincit omnia“ – Vergils bei mittelalterlichen Rittern  beliebter Sinnspruch von der alles überwindenden Macht der Liebe, ist die allgemeingültige Kernfrage dieses Stoffes. Er zieht sich als roter Faden durch das Stück, wird je nach Situation und Perspektive behauptet oder in Frage gestellt. Kann die Liebe wirklich alle Schwierigkeiten besiegen, alle Vorurteile überwinden, alle Krisen bestehen? Darf sie sich über alle anderen Werte wie politische Handlungsfähigkeit, Wohlstandsmehrung, Familienehre und gesellschaftlichen Konsens hinweg setzen, vielleicht sogar den sozialen Frieden des Landes bedrohen?

Welch ein spannender, menschlich bewegender, vielschichtiger, universell aktueller Stoff im Spannungsfeld zwischen Politik und Individualität, zwischen Historie und heutigen Fragestellungen einer Beziehung zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, über die  tragische Unvereinbarkeit von Ehe und Liebesbeziehung, persönlichem Glück und gesellschaftlichen Normen und Pflichten.

Die Vehemenz, mit der 1435 die Liebe zwischen Agnes und Albrecht bestraft wurde, schlägt assoziative Brücken zur Diskriminierung von Beziehungen zwischen Liebenden mit unterschiedlicher kultureller und ethnischer Herkunft von heute.


Historiendrama

Vieles, was wir von Agnes Bernauer und ihrer Mesalliance mit dem Wittelsbacher Herzogssohn zu wissen glauben, ist Legende. Erfunden von Volkssängern und Dichtern aus ihrem jeweiligen Zeitgeist heraus, um den Mord als Staatsräson zu rechtfertigen oder das Publikum mit einer schönen Märtyrerin zu rühren. Agnes’ Wesen als liebreizender „Engel von Augsburg“  wie die gängigen Klischees von der Hexe oder der Badhure, die rührende Mär von einer gemeinsamen Tochter der Liebe, die finstere Intrige eines Straubinger Vizedoms oder die persönliche Rache eines abgewiesenen Verehrers sind dichterische Erfindungen wie die schaurigen Details ihrer Hinrichtung. Nicht einmal, dass Agnes Bernauer die Tochter eines Augsburger Baders war, ist historisch nachweisbar. Die Badestube gehört dennoch zum sinnlichen Versprechen dieser Liebesgeschichte. Auch bei uns.

Historiker können und müssen sich mit dem wenigen, was über die Agnes Bernauer historisch belegt ist, zufrieden geben. Die Dramatikerin muss Antworten für die weißen Flecke in dieser Geschichte finden, die zum einen historisch plausibel sind, zum anderen die Motivation aller Figuren, ihr Denken und Handeln heute nachvollziehbar und verständlich machen. Und sie muss dafür theatralisch wirkungsvolle, emotional berührende Situationen, Bilder, Dialoge finden. In diesem Fall exklusiv für die besondere Situation auf der Freilichtbühne der Burg Vohburg, die in doppeltem Sinn Schauplatz der Handlung ist.

Die wenigen authentischen Quellen elektrisieren zu spannenden Fragen nach zwischenmenschlichen Beziehungen, Gesellschaftsstruktur, Ehe, Moral, politischem Handeln und den Charakteren der Protagonisten in einer Umbruchszeit vom Mittelalter zur Renaissance und bilden so das Gerüst  dieses Agnes-Bernauer-Stücks. Und der Blick des 21. Jahrhunderts erweist sich dabei hoffentlich als ideologiefreierer Zugang als so manche um sittliche Reinheit und politische Harmlosigkeit bemühte Romantisierung früherer Annäherungen an den Stoff.

Das Genre verlangt zudem nach dramatischen Situationen und starken Gefühlen - und einem Schuss Komik aus der Perspektive der Unbeteiligten. 

Nicht die dichterische Überlieferung, sondern die historischen Quellen zum Ausgangspunkt des neuen Dramas zu nehmen, hat zu einigen neuen Handlungselementen und schließlich auch zu einer neuen Sichtweise auf die Figuren geführt. Dafür nur zwei Beispiele:

Geradezu schockierend für das traditionelle Bild des idealen Liebespaars ist die Erkenntnis, dass Albrecht während seiner vermutlich sieben Jahre dauernden Liebesbeziehung zu Agnes zwei standesgemäße Ehen angestrebt hat, die nicht etwa wegen Albrechts Treue zu Agnes gescheitert sind, sondern weil beide Bräute ihre Eheverträge nicht einhielten.

Dies führte zu vielfältigen Spiegelungen der Thematik standesgemäße „Zwangsheirat“ als Staatsvertrag, Liebesbeziehung, heimliche Ehe und einer dramatischen Zuspitzung. Wie geht Agnes mit dieser Demütigung um?  Wie überdauert die Beziehung?

Diese Agnes fügt sich nicht in die Rolle einer heimlichen Geliebten neben einer legitimen Herzogin. Hat sie damit ihr eigenes Todesurteil herausgefordert? Mätressen waren keineswegs so anstößig, wie uns spätere bürgerliche Jahrhunderte glauben machen wollten. Also nicht ohne, sondern durch eine Heirat erhöht sich das Risiko der beiden, dass nur durch Agnes’ Tod der Weg für eine standesgemäße und damit für die Erbfolge relevante Beziehung des Thronfolgers frei wird. 

Eine weitere Erkenntnis aus den historischen Fakten stellt eine emotionale Herausforderung für das junge Liebesglück dar. Albrecht III. nimmt 1431 erneut an einem  Kreuzzug gegen die böhmischen Hussiten teil und erlebt ein grausiges Gemetzel auch auf der Seite der „Rechtgläubigen“. Die Angst um den Geliebten und das Verständnis für die schrecklichen Erlebnisse des „Kriegsheimkehrers“ kann die Liebesbeziehung vertiefen.

Die fatale Unbedingtheit dieser Liebe lässt sich schwer allein durch die Anziehung zweier hübscher Menschen erklären.

Historische Formulierungen, auch von Oscar von Wolkenstein, Dichter, Ritter und Albrechts „Kriegskamerad“ im Feldzug gegen die Hussiten, sind in die heutige, bewusst nicht artifizielle Sprache eingeflossen, der Epilog besteht überwiegend aus Originalzitaten von Historikern und spiegelt so die widersprüchlichen Deutungen über die Jahrhunderte.


Agnes

Aus den historischen Recherchen und der psychologischen Nachvollziehbarkeit dieser ungewöhnlichen  Konstellation entsteht ein neues Bild der Agnes Bernauer: das einer jungen Frau, die nicht nur naives, liebreizendes, willenloses Opfer ist.

Den (männlichen) Autoren des 19. Jahrhunderts reichte zur Begründung dieser wagemutigen Liebe aus, dass Agnes von großer Schönheit war. Will man sich nicht mit der ausschließlichen Erklärung einer sexuellen Hörigkeit zufrieden geben, muss ihr großer Reiz für den Fürstensohn auch in ihrem Wesen, ihrem Verhalten, ihrer Belastbarkeit begründet sein. Hat ihn auch das Fremde angezogen, eine auch im zwischenmenschlichen Umgang erfrischend bodenständige Direktheit, die sie von den höfischen Damen seiner Umgebung unterschieden hat? Die Badestube könnte eine gute Schule in Menschenkenntnis und Sozialverhalten gewesen sein.

Die zeitgenössischen Berichte sprechen von ihrer großen Schönheit, aber auch böswillig von „großfaist“ (= geltungssüchtig?) und „hartnäckig“ (uneinsichtig). Weiter erfahren wir, dass sie es gewagt hat dafür zu sorgen, dass ein Raubritter und Pferdedieb aus der Immunität der herzoglichen Veste der Gerichtsbarkeit ausgeliefert wurde. Auch diese Episode hat zur Charakterisierung der Agnes Eingang in das Drama gefunden.

Erzählt wird daher von einer fröhlichen, willensstarken, mutigen und eigenwilligen jungen Frau, die das Herz auf dem rechten Fleck hat, sagt was sie denkt, spontan und impulsiv in der Liebe wie in der Verzweiflung ist, durchaus ehrgeizig, aber auch bereit, alles zu lernen, was für ihr Überleben in dieser ihr fremden Welt nötig ist. Aber sie hat Mühe, sich an die Spielregeln für eine nicht standesgemäße Beziehung zu halten. Das wird ihr zum Verhängnis.

Der Herzogssohn Albrecht und die Baderstochter Agnes könnten sich im Februar 1428 zum ers-ten Mal begegnet sein, als Albrecht III. nachweislich an einem Turnier in Augsburg teilgenommen hat. Im Karneval! (Im mittelalterlichen Fasching wird die Ständepyramide parodiert und außer Kraft gesetzt, wovon noch heute die Übergabe des Rathausschlüssels an das Faschingsprinzenpaar zeugt.) Im Karnevalstreiben prallen die beiden Menschen aus zwei konträren Welten aufeinander, die arroganten Ritter mit ihrem Standesdünkel und die junge Frau mit ihrem frechen Trotz aus dem „Pöbel“, die mutig dazwischen geht, als Jugendliche eine Behinderte anpöbeln und verletzen. Das imponiert Albrecht wider Willen. Der Zusammenprall der Ungleichen schlägt Funken – „bis dass der Tod sie scheidet“...


Ehrenmord

Agnes Bernauer ist keineswegs dem unglücklichen Zufall einer politischen oder gar privaten Intrige zum Opfer gefallen, wie dies Martin Greif gemäß der Dramaturgie des 19. Jahrhunderts und vielleicht auch mit einer gewissen Rücksicht auf das zu seiner Zeit noch regierende Haus Wittelsbach dargestellt hat. Die Schuld und Verantwortung für die Hinrichtung der Agnes trägt ihr Schwiegervater, Herzog Ernst. Und er bekennt sich auch dazu. Überliefert ist seine Begründung dieses Todesurteils gegenüber dem Kaiser. Vorgeworfen werden ihr u.a. Giftmordanschläge auf die herzogliche Familie und damit „Landschändlichkeit“, also Hochverrat, sowie ihre „Hartnäckigkeit“, Liebeszauber, aber keineswegs Hexerei. Man kann diese „Anklagepunkte“ für eine nachträgliche Rechtfertigung halten, ein Prozess gegen Agnes ist nicht überliefert.

Der Tod der Agnes Bernauer war ein christlich motivierter „Ehrenmord“.

Agnes’ dauerhafte Beziehung zu Albrecht  hat das Ansehen und die Ehre des Hauses Wittelsbach beschädigt, drohte den Thronfolger Albrecht politisch zu isolieren und verstieß gegen die gottgewollte ständische Ordnung. Dass Albrecht die Teilnahme beim Turnier in Regensburg verweigert wurde, ist Ausdruck der gesellschaftlichen Ächtung des Mitregenten durch seine Standesgenossen.  

Das Stück liefert allerdings weitere, für uns heute leichter verständliche Motive für die Hinrichtung der Agnes. Zum einen mag die Sorge einleuchten, die Linie Bayern-München im damals in drei rivalisierende Herzogtümer geteilten Bayern könne aussterben, München an das Teilherzogtum Landshut oder Ingolstadt (der gefürchtete Ludwig der Bärtige war noch an der Macht) fallen, wenn Albrecht keinen legitimen Erben hat.

Zum anderen sehen wir Herzog Ernst traumatisiert von einer, vom Ingolstädter Herzog militärisch unterstützten bürgerkriegsähnlichen Situation bei seinem eigenen Regierungsantritt. Er will seinen Sohn und Bayern-München vor einer ähnlich politisch gefährlichen Lage bewahren, denn wie leicht könnten die schwelenden sozialen Konflikte wieder aufbrechen, wenn sich Handwerker und Patrizier über die „First Lady“ in die Haare geraten – wie  noch 400 Jahre später durch Lola Montez.

Mit Fragen der Moral im Sinne des 19. Jahrhunderts hat die Anstößigkeit der Verbindung von Agnes und Albrecht wenig zu tun. Zwar gehörten Badstuben noch nicht zu den ehrenwerten Zünften, waren aber, zumindest Anfang des 15. Jahrhunderts, keineswegs, wie immer wieder lüstern kolportiert wird, automatisch Bordelle. Eine „Badhur“ gewesen zu sein, wird Agnes historisch nicht vorgeworfen. Maitressen und illegitime Kinder hatten auch der gestrenge Vater, Herzog Ernst, sowie Albrecht vor und während seiner als glücklich beschriebenen Ehe mit Anna von Braunschweig, die er nur ein Jahr nach Agnes’ Tod einging.

In die Geschichtsbücher ist „Albrecht der Fromme“  weniger aufgrund seiner eigenen politischen Bedeutung, sondern durch seine Liebe zu einer gesellschaftlichen Außenseiterin eingegangen.

In unserer Erinnerung hat die Liebe von Agnes und Albrecht also letztendlich doch gesiegt.

Ich danke allen Mitwirkenden für ihr großes Engagement und wünsche den Zuschauern einen spannenden, berührenden Theaterabend.